Warum erfolgreiche Entscheidungen heute zwischen Datenanalyse und Bauchgefühl entstehen
Wir leben in einer Zeit, in der Algorithmen längst nicht mehr nur optimieren, vorhersagen oder empfehlen – sie entscheiden mit. In der Medizin, im Finanzwesen, im Recruiting oder der Produktentwicklung liefert künstliche Intelligenz heute präzisere Analysen und schnellere Antworten als je zuvor. Somit stehen wir immer häufiger vor der wichtigen Frage: Sollen wir auf künstliche Intelligenz vertrauen oder lieber doch auf unser Bauchgefühl?
Algorithmen analysieren riesige Datenmengen in Sekunden, liefern rationale Empfehlungen und lernen kontinuierlich dazu. Auf der anderen Seite steht unser Bauchgefühl, geprägt von Erfahrung und Emotionen. Doch wer trifft die besseren Entscheidungen? Maschinen mit der datengetriebenen und kalten Logik oder Menschen mit einem erfahrungsbasierten und emotionalem Bauchgefühl?
Beide Seiten haben ihre Stärken und nicht selten hängt die Qualität davon ab, wann wir welchen Ansatz nutzen. Wir blicken auf Beispiele aus der Wirtschaft, Medizin und Alltag und vergleichen Bauchgefühl mit Datenanalyse.
Könnte am Ende die perfekte Entscheidung irgendwo zwischen Mensch und Maschine liegen? Und besteht die Möglichkeit, dass der Mensch vollständig ersetzt wird?
Was wir landläufig als „Bauchgefühl“ bezeichnen, ist laut Forschenden der University of New South Wales (UNSW) weit mehr als ein subjektives Empfinden. Es handelt sich dabei um eine intuitive Entscheidung, die auf unbewusster Informationsverarbeitung beruht. Professor Joel Pearson, Kognitionsforscher an der UNSW, beschreibt Intuition treffend als „die gelernte, produktive Nutzung unbewusster Informationen für bessere Entscheidungen oder Handlungen“ (Matson, 2024).
Das bedeutet also, dass Intuition keine angeborene Eingebung, sondern das Ergebnis von Erfahrung und Übung ist. Unser Gehirn speichert im Laufe der Zeit unzählige Situationen und Reaktionen und zieht daraus Schlüsse, noch bevor wir sie bewusst durchdenken. So entsteht ein Entscheidungsprozess, der oft schneller ist als jede rationale Analyse – und manchmal auch genauso sicher. Allerdings gilt es, den Unterschied zwischen Intuition, Instinkt und Impuls zu kennen:
Stress, emotionale Aufladung oder kognitive Filter können das intuitive Urteil beeinflussen. Deshalb ist es wichtig, das eigene Bauchgefühl nicht als unfehlbare Wahrheit zu betrachten, sondern als eine Perspektive unter vielen (Matson, 2024).
Gerade in dynamischen Umfeldern kann Intuition ein echter Vorteil sein. Sie macht uns entscheidungsfähig in Echtzeit, insbesondere wenn Daten fehlen oder eine tiefgehende Analyse zu lange dauern würde. Die Herausforderung besteht darin, das Bauchgefühl nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zur rationalen Bewertung zu verstehen. Denn die besten Entscheidungen entstehen meist dann, wenn Kopf und Bauch im Gleichgewicht agieren (Matson, 2024).
Künstliche Intelligenz entscheidet in der Regel nicht im menschlichen Sinne - sie bewertet, gewichtet und wählt auf Grundlage von Daten, Wahrscheinlichkeiten und definierten Zielen. Wo Menschen sich auf Erfahrung, Intuition oder Kontextgefühl verlassen, folgt die KI einem anderen Prinzip: statistische Optimierung.
Laut dem Artikel „Trusting the Machine“ von Joel Baum (Baum, 2025) verändert generative KI wie ChatGPT nicht nur unsere Zugänge zu Wissen, sondern auch die Art, wie wir Kritikfähigkeit und Urteilsvermögen verstehen. KI bewertet anders als Menschen: sie generiert Entscheidungen, die auf Mustern aus riesigen Datenmengen beruhen. Dennoch: Eine KI kennt nicht die zugrundeliegende Bedeutung, sondern nur Korrelation. In der Forschung zu Innovationsmanagement zeigt sich: KI kann Ideenbewertungen überraschend gut durchführen, z. B. bei der Vorhersage, welche vorgelegten Konzepte Potenzial haben. Doch bei der Entwicklung neuer Ideen schneiden Menschen deutlich besser ab. Warum? Weil Innovation oft nicht logisch, sondern intuitiv ist - etwas, was durch das nachahmende Vergehen der KI nicht erreicht wird (Du, 2024).
Der Artikel „AI vs. Human Intuition“ (Abby, 2025) bringt es auf den Punkt: KI trifft keine Entscheidungen im klassischen Sinne - sie simuliert Urteilsvermögen durch Datenanalyse. In stabilen, klar umrissenen Situationen kann sie Menschen sogar übertreffen. Doch sobald Emotionen ins Spiel kommen, wird deutlich: Die menschliche Intuition bleibt (aktuell noch) unersetzbar. Die KI reagiert auf Wahrscheinlichkeiten. Ihre Stärke liegt in der Analyse, nicht im Verstehen. Sie ist effizient - aber ohne Bauch und ohne Zweifel. Deshalb sind KI-Systeme heute schon wertvolle Berater, aber noch keine vollwertigen Entscheider. Die Verantwortung bleibt in den meisten Fällen beim Menschen.
In der heutigen datengetriebenen Welt stehen Unternehmer vor Herausforderungen, wenn es um die Balance zwischen Intuition und Datenanalyse geht. Um künstliche Intelligenz und Bauchgefühl im praktischen Umgang zu vergleichen, lohnt sich der Blick auf vier Beispiele aus der Realität: Künstliche Intelligenz in der Medizin vs. ärztliche Intuition, Krisenmanagement im Unternehmen, Recruiting und Autonomes Fahren vs. menschliche Fahrerfahrung.
Stärke der KI:
Systeme wie IBM Watson können Millionen medizinischer Studien als Wissensdatenbank aufnehmen. Laut einer Studie in „The Oncologist” war das System so in bestimmten Fällen sogar präziser bei der Empfehlung von Krebstherapien als behandelnde Ärztinnen und Ärzte (Zhou+, 2024).
Stärke des Menschen:
Dr. Anthony Fauci - Berater des US-amerikanischen Präsidenten während der Corona-Pandemie - entwickelte viele seiner Empfehlungen nicht nur allein auf Basis von Zahlen, sondern auch gestützt auf seine langjährige Erfahrung und Gespür (Lederman & Greenspan, 2024). Der Grund dafür war, dass die empfohlenen Maßnahmen nicht nur medizinische, sondern auch soziale und wirtschaftliche Faktoren berücksichtigen mussten und auch emotionale Auswirkungen auf die Bevölkerung hatten. KI allein kann eine solche Bewertung heute noch nicht leisten.
Stärke der KI:
In der Unternehmensplanung kann künstliche Intelligenz Lieferprobleme oder Rohstoffpreise zuverlässig analysieren - ideal für kurzfristige und auch strategische Entscheidungen und Risikobewertungen.
Stärke des Menschen:
Vor allem in Krisensituationen, wie etwa plötzlichen Marktumbrüchen oder internen Konflikten, braucht es Führungspersönlichkeiten, die schnell und empathisch handeln und mit der neuen Situation umgehen können. Hier kommt es darauf an, die Erfahrung aus vorherigen Situationen angemessen auf die neue Sachlage transferieren zu können.
Stärke der KI:
Unternehmen setzen heute KI-basierte Tools ein, um Bewerbungen effizienter zu sichten, z.B. um diese nach Fähigkeiten zu klassifizieren. Das sorgt dafür, dass der Screening-Prozess deutlich schneller und objektiver ablaufen kann. Bewerbende bekommen schneller eine Rückmeldung. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für das Finden geeigneter Kandidaten steigt.
Stärke des Menschen:
Amazon musste 2018 ein KI-Bewerbungssystem stoppen, als bekannt wurde, dass es Frauen unbewusst diskriminierte (Iriondo, 2018). Dies lag daran, dass die KI seine Wissensbasis aus männlich dominierten Datensätzen erlernt hatte. Das Beispiel zeigt: KI ist nur so fair wie die Daten, mit denen sie trainiert wurde.
Am Ende dieser Gegenüberstellung wird deutlich: Weder künstliche Intelligenz noch menschliches Bauchgefühl allein ist der Schlüssel zur besseren Entscheidung. Während KI in klar strukturierten Situationen beeindruckende Ergebnisse liefert, bleibt das menschliche Intuition dort unverzichtbar, wo es um Emotionen oder schnelle Reaktionen auf das Unvorhersehbare geht.
Gerade in unternehmerischen Kontexten zeigt sich die wahre Stärke in der Kombination. KI hilft, den Überblick über riesige Datenbestände zu behalten, Muster zu erkennen und Optionen zu simulieren. Der Mensch setzt diese Informationen dann in den richtigen emotionalen, zwischenmenschlichen oder gesellschaftlichen Kontext setzen. Wer künstliche Intelligenz als automatische Entscheidungsinstanz verwendet, riskiert krasse und unkontrollierte Fehlentscheidungen. Wer sie aber als Partner versteht, kann Entscheidungen schneller und reflektierter treffen.
Das Modell GOFER (englisch für Ziele, Optionen, Fakten, Effekte und Rückblick) zeigt einen Weg, wie KI sinnvoll in Entscheidungsprozesse eingebunden werden kann, ohne die menschliche Verantwortung aus der Hand zu geben. In jeder Phase dieses Modells kann künstliche Intelligenz unterstützen, analysieren und berechnen. Doch die Bewertung, das Abwägen und letztlich das Handeln bleibt Aufgabe des Menschen (Robinson, 2025).
Besonders für Entscheidungsträger in einer Zeit, die von Unsicherheit und Datenüberfluss geprägt ist, wird genau diese Fähigkeit entscheidend: sich nicht blind auf Technologie zu verlassen, sondern sie bewusst zu nutzen. Denn die perfekte Entscheidung entsteht nicht aus dem Bauch oder aus dem Code. Sie entsteht genau da, wo beides geschickt kombiniert wird.
(Abby, 2025) Abby: AI vs. Human Intuition: A False Dichotomy or the Future of Decision-Making? Medium, 2025.
(Baum, 2025) Joel Baum: Trusting the Machine: How Generative AI is Reshaping Critical Thinking and Knowledge Networks. Medium, Februar 2025.
(Dan, 2025) Eno Dan: From Gut Feeling to Smart Thinking: How AI Turns Data into Decisions. Medium, April 2025.
(Du, 2024) Mark Du: Machine vs. human, who makes a better judgment on innovation? Take GPT-4 for example. Frontiers in Artificial Intelligence, August 2023.
(Iriondo, 2018) Roberto Iriondo: Amazon Scraps Secret AI Recruiting Engine that Showed Biases Against Women - Machine Learning. Carnegie Mellon University, Oktober 2018.
(Lederman & Greenspan, 2024) Michael M. Lederman, Neil S. Greenspan: Dr. Anthony Fauci Shares Insights on His Career and Leadership of the NIAID. Pathogens and Immunity, Vol. 9, No. 2, September 2024.
(Matson, 2024) Lilly Matson: What is a 'gut feeling' and when should you listen to it? University of New South Wales, Newsroom, Februar 2024.
(Robinson, 2025) Jamie Robinson: Trust Your Gut Or The Data? AI And Decision Making. Forbes 2025.
(Szczensny, 2023) Peter Szczensny: Vergessen Sie Bauchgefühl – So treffen Sie mit KI die besseren Entscheidungen. Abels & Kemmner Blog, 2023.
(Zhou+, 2024) Na Zhou et al.: Concordance Study Between IBM Watson for Oncology and Clinical Practice for Patients with Cancer in China. The Oncologist, Volume 24, Issue 6, Seiten 812-819. Juni 2019.